Das erste, was Managementneulinge lernen, sind die Regeln der politischen Korrektheit in ihrem Unternehmen. Weil sie informell sind, werden sie vor allem durch sozialen Druck vermittelt. Man nimmt die Neulinge beiseite, gibt „wohlmeinende“ Ratschläge und nordet bei Bedarf auch mal anständig ein. Das Ergebnis sind Manager, die sich sozial erwünscht verhalten, aber ihrem Unternehmen damit schaden.
Nur wenigen gelingt es, von Anfang an den geraden Weg zu gehen. Andere lernen durch den Schmerz des Misserfolgs, sich zu emanzipieren. Für beide aber gilt: Es kostet Kraft, konsequent gegen den Strom zu schwimmen und die unausgesprochenen Tabus zu brechen, die das Geschehen in den Fluren, Büros und Meetingräumen bestimmen. Wer sich endlich davon befreien will, kann mit fünf Klassikern beginnen:
Tabu 1: Bloß nicht früher gehen!
Der Ort: ein Meeting, das nichts taugt oder in dem Sie offenbar nichts verloren haben. Trotzdem bleiben Sie brav sitzen, bis alle alles zu allem gesagt haben. Schließlich gehört das zum Ehrenkodex auf der Chefetage – ob Sie etwas Substanzielles beizutragen haben oder nicht.
So brechen Sie das Tabu richtig: Sollten Sie sich nicht besser empfehlen? Nein: Sie müssen! Sie sind nicht dem Kodex, sondern dem Fortschritt Ihres Unternehmens verpflichtet. Und wenn Sie an anderer Stelle produktiver sein können, gilt es, formvollendet das Weite zu suchen und dabei gleichzeitig auf die Unsinnigkeit Ihrer Anwesenheit hinzuweisen.
Tabu 2: Bloß keine Widerworte geben!
Der Chef verlangt ein Strategiekonzept, das niemand braucht und keiner will. Intuitiv gehen alle in Deckung. Leider waren die anderen schneller als Sie. Also machen Sie gute Miene zum unsinnigen Job und schieben seine Erledigung vor sich her, bis Sie es am Ende halbherzig hinter sich bringen.
So brechen Sie das Tabu richtig: Etwas Unsinniges einfach nicht zu tun, ist kein gerechter ziviler Ungehorsam, sondern hochgradig unklug. Am Ende müssen Sie es ohnehin durchziehen, so absurd es auch ist. Der Ausweg: Sprechen Sie es an und weigern Sie sich konstruktiv – mit stichhaltigen Argumenten. Die haben Sie doch, wenn Sie wissen, dass das Konzept so nicht funktioniert. Oder nicht?
Tabu 3: Bloß nicht persönlich werden!
Ihre Ansprache zur Betriebsversammlung ist fertig. Leider fehlen noch die Analysen dazu. Auf Nachfrage erfahren Sie, dass die Tochter des Controllers die Masern hat. Fatal nur, dass er die Auswertung nicht fertig hat, weil er gestern früher gehen musste. Betreten verspricht er Ihnen: „Aber morgen, bevor Sie auf die Bühne gehen, ist sie da. Ehrenwort!“ Nur vorbereiten können Sie sich dann nicht mehr.
So brechen Sie das Tabu richtig: Bei allem Verständnis, dann hätte er sie früh am Morgen machen müssen. Dürfen Sie jetzt trotz Masern sagen, dass Sie so mit ihm nicht arbeiten können? Das müssen Sie! Wer nicht kritisiert, ist illoyal dem Unternehmen gegenüber und untergräbt die Leistungskultur. Dass klare Kritik auch persönlich wirkt, ist nicht zu vermeiden. Nur sollten Sie Scham und Schuldgefühle nicht bewusst forcieren. Die kommen von selbst und gehören dahin.
Tabu 4: Bloß nicht aufstecken!
„Das war so abgemacht. Jetzt ziehen wir es auch durch. Verschonen Sie mich mit Ihren Prognosen!“ Ihr Abteilungsleiter läuft heiß. Sein Prestigeprojekt droht zu floppen. Weil es ohnehin schon eine Million gekostet hat, kommt es auf die zweite für ihn auch nicht mehr an. Erst mal fertigmachen, dann weitersehen, lautet seine Devise.
So brechen Sie das Tabu richtig: Machen Sie diesen Wahnsinn mit? Bloß nicht. Stoppen Sie das Projekt. Zur Not müssen Sie an höherer Stelle das Okay dafür besorgen. Auch wenn der Abteilungsleiter tobt. Sie werden auch für den Mut bezahlt, sich gegen ihn zu stellen, um Unheil abzuwenden.
Tabu 5: Bloß keine Baustellen!
Hochglanz im Lenkungsausschuss: Ihre Präsentation ist ein Augenschmaus. Wie hat Ihr Mitarbeiter bloß den Metallic-Effekt hinbekommen? Scheinbar haben Sie einen echten Künstler rekrutiert. Die Programmchefin aber meckert. „Ihre Zahlen sind nicht zu Ende gedacht. So können wir den Kick-off nicht starten.“
So brechen Sie das Tabu richtig: Es ist falsch, mit Ihrem Assistenten die Perfektion an der falschen Stelle zu suchen. Geschwindigkeit ist ebenso wichtig wie Inhalt im Management. Lieber schnelle, schmutzige Qualität, die immer besser wird, als Perfektion, die nicht an den Start kommt, weil sie nie erreicht werden kann. Zuerst die Zahlen, dann das Layout – und selbst die müssen nicht perfekt sein, sondern nur so belastbar, dass Sie umgehend loslegen können.
Leider sind die realen Effekte dieser Tabus in den Unternehmen weder selten noch so unterhaltsam, wie sie hier geschildert wurden. So gut wie jede Organisation leidet mehr oder weniger unter ihnen. Sich von ihnen zu lösen, ist der erste Schritt auf dem Weg, ein Spitzenmanager in einem Spitzenunternehmen zu werden.
Matthias Kolbusa ist Strategie- und Veränderungsexperte, Unternehmer, Autor und Vortragsredner. Sein Credo lautet: Nicht Meetings, Planung und Kontrolle bringen uns weiter, sondern Mut, Geschwindigkeit und Umsetzungsstärke. Statt Lippenbekenntnissen und unnötiger Komplexität braucht es mehr Klarheit und Aufrichtigkeit im Miteinander und mehr Konsequenz im Handeln. 2017 ist sein Buch Konsequenz! Management ohne Kompromisse - Führen mit Klarheit und Aufrichtigkeit erschienen.