Jeder Mensch will gesund sein. Dabei ist die Luft in Gebäuden für uns ein extrem wichtiges Lebensmittel. Von ihrer Zusammensetzung hängt unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ab. Schließlich befinden wir uns fast rund um die Uhr in geschlossenen Räumen. Anhaltende Gerüche, Schimmelpilze, Formaldehyd, zu viel CO2, Feinstaub und viele weitere Schadstoffe können uns auf Dauer schwer krankmachen oder verstärken bestehende Krankheiten wie Allergien.
Die Wissenschaft ist hier eindeutig: So schreibt Dr. Irina Lehmann, Professorin an der Charité Universitätsmedizin Berlin: „Im Neubau, nach Sanierung oder Renovierung, können unter anderem flüchtige organische Substanzen, Volatile Organic Compounds, kurz VOC in hohen Konzentrationen in der Raumluft auftauchen und ein Gesundheitsrisiko darstellen. Diese Chemikalien werden aus Baumaterialien, Farben, Lacken, Bodenbelägen und Möbeln freigesetzt und können bis zu 10-fach höhere Konzentrationen in Innenräumen im Vergleich zur Außenluft erreichen.“ Mit schlimmen Konsequenzen: „Vor allem bei Kindern, aber auch bei Erwachsenen wurden im Zusammenhang mit hohen VOC-Konzentrationen in Räumen oder Gebäuden Gesundheitseffekte beobachtet. Bei Kleinkindern traten vor allem Reizungen der Atemwege bis hin zu einer Bronchitis oder Symptomen einer pfeifenden Atmung auf. Als besonders kritisch für Kleinkinder hat sich unter anderem das Verlegen und insbesondere Verkleben neuer Fußböden herausgestellt“, betont Professorin Lehmann.
In Kinderzimmer und Schule drohen hohe Schadstoffwerte
Die Folgen sind gravierend: laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft kosten Krankheitstage von Mitarbeitenden deutsche Unternehmen jährlich inzwischen mehr als 50 Mrd. Euro. Rund 16 Prozent davon entfallen auf Atemwegserkrankungen. Wie hoch der Anteil wegen ungesunder Innenraumluft ist, wird nicht erhoben. Nicht nur die Arbeitgeber bezahlen einen hohen Preis, auch der Einzelne hat enorme medizinische Kosten und womöglich Einkommenseinbußen. Circa acht Millionen Menschen in Deutschland sind direkt von Asthma betroffen. Daneben gibt es viele weitere Erkrankungen mit direktem Bezug zur Innenraumluftqualität.
Den großen Handlungsbedarf dokumentierte auch die Reaktion der Bundesbauministerkonferenz im Jahr 2017 auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Dieser erklärte die Praxis der deutschen Baustoffzulassung als Hemmnis für den freien Warenverkehr in Europa für unzulässig und machte damit erste Ansätze für eine Regulierung von Schadstoffen in bestimmten Produktgruppen zunichte. Als Konsequenz verabschiedeten die Landesbauminister einen neuen Rechtsrahmen, der erstmals gesundheitliche Mindeststandards für Bauprodukte und neue Haftungsregelungen für Bauunternehmen und Planer festlegt. Schon jetzt müssen einzelne Hersteller immer wieder eigene Häuser zurückkaufen, da diese dauerhaft mit Schadstoffen belastet sind.
Fehlende Wohngesundheit ist also kein theoretisches Problem. Das belegen auch Studien des Sentinel Haus Instituts. So überschritten in Gebäuden, ohne gesundheitliche Qualitätssicherung die Schadstoffkonzentrationen in Kinderzimmern die Empfehlungswerte der obersten Umwelt- und Gesundheitsbehörden um das Achtfache. In Klassenzimmern wurde die gesundheitlich akzeptable Konzentration sogar um das bis zu 30-Fache überschritten, wie eine Studie gemeinsam mit TÜV Rheinland aus dem Jahr 2017 zeigt.
Was sollten private Bauherren oder gewerbliche Investoren konkret tun?
Wichtig sind Klarheit und Transparenz bei allen Beteiligten. Wer viel Geld für ein Gebäude ausgibt, sollte die gesundheitliche Qualität der verwendeten Produkte und des fertigen Gebäudes hinsichtlich der wichtigsten Schadstoffe unbedingt vertraglich definieren. Hier helfen zum Beispiel transparente und öffentliche Kriterien, wie sie das Sentinel Haus Institut erarbeitet hat (siehe sentinel-haus.eu/de/qualitaeten-pruefkriterien ).
Damit ist auch die Haftungsfrage klar geregelt. Mehrere Hausbauunternehmen und Fertighaushersteller bieten einen solchen Service bereits an. Nicht zuletzt sollte ein Gebäude nach Fertigstellung unbedingt mit einer Raumluftmessung auf Schadstoffe durch ein akkreditiertes Prüfinstitut geprüft werden. Die Kosten belaufen sich auf 1000 bis 2000 Euro. Bei Bausummen von mehreren 100.000 Euro ein überschaubarer und sinnvoll investierter Betrag. Sicherheitssysteme im Auto kosten heute oft ein Vielfaches.
Wer selbst Bauprodukte kauft, stößt glücklicherweise auf ein immer größeres, geprüft schadstoffarmes Angebot. Das Problem ist auch hier die Transparenz: Es gibt unzählige Label, nicht alle sind eindeutig und verlässlich. Wichtig: Nicht alle Produkte eines Herstellers sind grundsätzlich emissionsarm. Von der Marke auf die gesundheitlichen Eigenschaften zu schließen, funktioniert daher nur bedingt. Gute Label kommen zum Beispiel vom eco-Institut in Köln oder vom Verein natureplus. Einen Weg durch den Label-Dschungel bietet das Bauverzeichnis „Gesündere Gebäude“ (siehe https://bauverzeichnis.gesündere-gebäude.de/de ). Ab August 2019 neu an den Start geht „Das Grüne Regal“, mit dem die Hagebaustoffhändler offensiv gesundheitsgeprüfte Produkte auszeichnet und dazu qualifiziert berät. Erste Unternehmen Handelsunternehmen wie Köbig Baustoffe und Renner Baustoffe sind durch den TÜV Saar zertifiziert, weitere werden folgen. Nicht zuletzt sind wir selbst für gute Luft im Haus verantwortlich. Der bewusste Umgang mit Putzmitteln, Hygiene- und Kosmetikprodukten, regelmäßiges Lüften und verantwortungsvolles Renovieren geben uns die Möglichkeit, langfristig in einem gesünderen Gebäude zu leben.
Der Trend ist unaufhaltsam
Individuelle Gesundheit und Fitness bleiben für die meisten von uns Kern ihrer Lebensvorstellung. Hersteller und Handel tragen daher zunehmend Verantwortung für ihre Produkte – vom Silikon über Bodenbeläge, Kleber und Farben bis hin zu Reinigungsmitteln und Möbeln. Gute Beispiele gibt es zuhauf. Diese Unternehmen zeigen, dass es keine Frage des Preises ist, gesund zu wohnen. Zentral sind Aufklärung und Information der Kunden. Hier ist noch Luft nach oben, wie ein Gang durch die Baumärkte zeigt.
Architekten und Handwerker sollten entsprechende Fortbildungen nutzen. Zum Schutz der eigenen Gesundheit, aber auch im Sinne ihrer Kunden. Nicht zuletzt müsste das Thema Gesünderes Bauen und Wohnen an den Meisterschulen und Hochschulen Einzug halten. Gehen wir es an...
Peter Bachmann ist Geschäftsführer und Gründer des Sentinel Haus Instituts in Freiburg im Breisgau (der Name des 2008 gegründeten Instituts kommt aus dem Englischen und bedeutet Wächter).