Aktien Warum ich trotzdem Einzelaktien kaufe

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Wer Einzelaktien kauft, erzielt meist schlechtere Renditen als mit Fonds. Was also spricht dafür? Ein Bekenntnis zur Unvernunft von Capital-Redakteur Christian Kirchner

Peter Lynch war einer der besten Aktienfondsmanager seiner Zeit: Zwischen 1977 und seinem selbst gewählten Ruhestand 1990 erwirtschaftete der heute 74-Jährige eine Rendite von im Schnitt 29 Prozent pro Jahr. Seine Investmentcredos? Waren simpel. Erstens: nur kaufen, was man versteht. Zweitens: mit offenen Augen durch die Welt laufen, auf der Suche nach guten Unternehmen. „Wenn Sie auch nur halbwegs aufmerksam sind, können Sie spektakuläre Aktien direkt aus Ihrem Büro oder auch aus der Shoppingmall in der Stadt entdecken, und das lange bevor die Wall Street sie entdeckt“, erklärt er in seinem Standardwerk für Anleger „Beat the Street“.

Ich muss – bei aller gebotenen Zurückhaltung als Finanzjournalist – zugeben, dass mich Letzteres schon immer fasziniert hat: Dank der Aktie bin ich als Einzelperson in der Lage, einen Teil eines Unternehmens zu kaufen, dessen Produkte oder Dienstleistungen ich nutze – und über die Kursgewinne und Dividenden habe ich dann direkt Teil an dessen Erfolg.

So wie ich sehen das auch viele andere private Investoren: Rund zehn Millionen Aktionäre gibt es in Deutschland. Knapp drei Millionen von ihnen erliegen ausschließlich der Faszination der direkten Aktien: Beteiligung ohne Umwege, an Unternehmen, die sie selbst gewählt haben. Das finanzwissenschaftlich Sinnvollere dagegen tut die Hälfte der zehn Millionen: Sie setzt nur auf breit gestreute Aktienfonds und senkt so das Klumpenrisiko, durch den Niedergang einiger weniger Firmen viel Geld zu verlieren – die herben Verluste vermeintlich sicherer deutscher Aktien wie Deutsche Bank, RWE und Eon der letzten Dekade lassen grüßen. Fondsanleger wie sie müssen auch keine Kompromisse bei der Rendite machen und haben, sofern sie diszipliniert halten, gute Chancen, langfristig zwischen fünf und zehn Prozent Rendite pro Jahr zu erzielen.

Weitere zwei Millionen deutsche Aktionäre halten zwar Aktienfonds, zugleich aber auch direkt Aktien. In diese Kategorie falle auch ich. Obwohl ich es eigentlich besser wissen müsste.

Muss Geldanlage immer eine bierernste Angelegenheit sein?

Seit über 25 Jahren beschäftige ich mit Kapitalmärkten, seit fast 20 Jahren schreibe ich hauptberuflich darüber, treffe Experten, lese Studien. Und es läuft immer auf den gleichen Schluss hinaus: In Einzelaktien investieren, das ist in Sachen Rendite nicht sehr erfolgversprechend. Die Risiken überwiegen, die Gefahr ist groß, damit zum Opfer eines ganzen Straußes typischer Fehler zu werden: zu häufig zu handeln, Verluste nicht rasch zu begrenzen, Gewinne zu früh mitzunehmen, die eigenen Fähigkeiten zu überschätzen, mit dem Geld im eigenen Land zu bleiben und globale Chancen damit nicht zu nutzen. Die Fehler sind von Verhaltensökonomen gut erforscht, und Warren Buffett hat vermutlich recht mit seiner Aussage, dass der geduldige Käufer eines breit gestreuten ETFs wohl 90 Prozent der Mitinvestoren schlage, wenn diese über Einzelaktien versuchen, den Markt zu schlagen.

Aber muss Geldanlage wirklich immer eine bierernste, finanzmathematisch optimierte Sache sein? Eine, bei der man mit unerschütterlicher Ruhe optimale Anlagen tätigt und hält? Ich glaube: nein.

Und ich glaube auch, dass der gezielte Kauf von Aktien dabei helfen kann, das zu tun, was bei der Geldanlage in Aktien am wichtigsten ist: diszipliniert genug zu sein, um eine Anlage über viele Jahre und durch Krisen hindurch zu halten. Wer Aktien von Siemens, BASF, BMW, Apple oder des Luxusgüterkonzerns LVMH besitzt, kann sich deren Fabriken, Läden und Produkte jederzeit ansehen. Er weiß, dass viel zusammenkommen muss für eine Pleite, dass es eine Hauptversammlung gibt, dass ihm ein Teil dieses Unternehmens gehört und seiner Investition sicht- und greifbare Werte gegenüberstehen. Mit einem Indexfonds mit kryptischem Namen ist das schwieriger zu visualisieren.

Ich glaube außerdem, dass man niemanden verteufeln sollte, der sich vom Start weg an eine direkte Aktienanlage wagt: Durch die Biografien der erfolgreichsten Fondsmanager zieht sich wie ein roter Faden, dass sie alle frühe Erfahrungen mit Fehlgriffen machen mussten: Hier verzockte sich jemand mit Goldminen, da ging jemand einem angeblichen Technologiesprung auf den Leim. Aus Fehlern lernt man und wird idealerweise ein besserer Anleger, so wie auch Kinder aus blutigen Knien lernen. Dass Geld verdienen am Aktienmarkt gar nicht so leicht ist, wie es erscheint, zeigen zwei Zahlen: Rund 70 Prozent ihres Geldes haben deutsche Aktionäre im eigenen Land angelegt. Von allen deutschen Aktien allerdings, die vor 15 Jahren an der Börse gehandelt wurden, hat ein Drittel aller Papiere überhaupt keinen Ertrag gebracht.

Nicht alle Investoren mit blutigen Knien aber lernen dazu – manche beenden schlicht ihre Karriere als Aktionär. 2,5 Millionen Menschen verabschiedeten sich laut dem Deutschen Aktieninstitut nach dem Platzen der New-Economy-Blase im Jahr 2000 von der Aktienanlage. Die Finanzkrise ab 2007 ließ die Zahl der Aktienanleger um weitere zwei Millionen schrumpfen. Auffällig: Investoren, die Aktien direkt halten, erwiesen sich dabei als disziplinierter und verzeichneten zuletzt den größeren Zuwachs. Die Zahl der direkten Aktionäre erreichte schon 2010 wieder das Niveau des letzten Vorkrisenjahres 2006. Die Zahl der reinen Aktienfondsbesitzer hingegen liegt noch immer rund ein Fünftel unter dem damaligen Zwischenhoch.

Doch auch Schmerzen durch Verluste (mit denen ich als Hobbyanleger der 90er- und frühen Nullerjahre Bücher füllen könnte) sind kein Muss. Es gibt schließlich auch einen gesunden Mittelweg: Mein privater Kompromiss sieht so aus, dass ich auf ein Fundament aus langfristigen, diversifizierten Anlagen baue: Dazu zählen eine Riester-Rente (in der das Geld in einen globalen Aktienfonds fließt), eine kapitalbildende Lebensversicherung über ein berufsständisches Versorgungswerk, eine betriebliche Altersvorsorge sowie vier Sparpläne über je 50 bis 75 Euro pro Monat in ETFs und aktive Fonds.

Rund 20 Prozent meiner Ersparnisse indes – die ich so schnell hoffentlich nicht brauche – liegen in Einzelaktien. Oder, je nach Börsenlage, auch auf einem Tagesgeldkonto, wo sie darauf lauern, in eine gute Idee investiert zu werden. Das ist dann nicht die Welt – pro Position sind es mal 1000, mal 2000 Euro. Aber es macht Spaß, dem Geld beim Arbeiten zuzusehen und Dividenden zu kassieren.

Die Auswahl der Unternehmen unterliegt dabei nur einer kleinen Beschränkung: Als Finanzjournalist darf ich laut den Standesregeln meines Verlags keine Aktien von Unternehmen besitzen, über die ich regelmäßig berichte – in meinem Fall, als Frankfurter Korrespondent, also etwa Bankaktien wie die der Deutschen Bank oder Commerzbank. Ansonsten aber halte ich es mit Peter Lynch – und versuche, mit offenen Augen durch die Welt zu gehen: Als etwa meine Frau und ich vor fünf Jahren Eltern wurden, schworen wir auf die Qualität von Pampers-Windeln. Zugleich ärgerten wir uns, dass sie regelmäßig teurer wurden: Mal stieg der Preis, mal waren weniger Windeln in der Packung. Aber wir nahmen das als Kunden hin, genauso, wie ich Gillette-Rasierklingen kaufe und wir elektrische Zahnbürstenaufsätze von Oral-B nutzen. Hinter allen diesen Marken steht Procter & Gamble, also stieg ich mit einem kleinen Betrag beim US-Konzern ein – und freue mich darüber, dass die beständig gezahlte Quartalsdividende nun locker unsere Ausgaben für Rasierklingen und Zahnbürstenaufsätze deckt.

Emotionale Renditen

Ähnlich gingen wir mit Easyjet vor, einer Fluggesellschaft, die Preisführer auf von uns genutzten Strecken ist und trotzdem hohe Margen erwirtschaftet. Bei Apple beobachtete ich mein eigenes Konsumverhalten – alle zwei bis drei Jahre kaufe ich ein neues iPhone – und entschloss mich, mit zwei Apple-Aktien wenigstens etwas an Leuten wie mir zu verdienen.

Hat sich die Investition in Einzeltitel für mich bislang gerechnet? Vermutlich nicht. Offen gestanden führe ich nicht genau Buch darüber, vermute aber, dass auch ich mehr verdient hätte, wenn ich die Gelder statt in Einzelaktien lieber in einen ETF gesteckt hätte. Denn im Laufe meiner Börsenkarriere war ich auch, wenngleich immer mit kleinen Beträgen, bei einer Reihe von spektakulären Pleiten dabei: beim belgischen Hersteller einer Spracherkennungssoftware, beim Telekomkonzern MCI Worldcom – selbst die Betrügerfirma Comroad befand sich zu Zeiten des Neuen Markts in meinem Depot.

Würde ich deshalb aber von Einzelaktien prinzipiell abraten? Nein. Sie sind das Salz in der Suppe für Investoren, die sich gern mit ihren Anlagen beschäftigen – oder die gern über strukturelle Trends nachdenken und sich fragen, wie man von ihnen profitieren könnte.

Wer etwa glaubt, dass die Mehrheit der Menschen die Umwälzungen der Digitalisierung noch immer unterschätzt – für den könnten Apple, Facebook, Google und eben Amazon spannende Langfristanlagen sein. Vielleicht aber glauben Sie ja, die Mehrheit unterschätze den Einfluss der alternden Bevölkerung auf die Wirtschaft? Dann setzen Sie schlicht auf jene Konzerne, die davon profitieren!

Wer sich wiederum wundert, warum in deutschen Fußgängerzonen zwischen Flensburg und Garmisch die immer gleichen Anbieter das Straßenbild dominieren – der kann aus seiner Beobachtung auch Schlüsse ziehen und sich die Aktien der wachstumsstarken Filialisten wie dem Zara-Mutterkonzern Inditex, des Brillenherstellers Fielmann oder eines Mobilfunkproviders wie O2 Deutschland kaufen.

Und wer es konservativer mag – und etwa auf Unternehmen setzen möchte, die schon jahrzehntelang ihre Dividenden durch alle möglichen Krisen gehalten oder gar erhöht haben – der wird fündig bei US-Dividendenkönigen wie dem Werkzeughersteller Stanley Black & Decker, dem Konsumgüterkonzern Johnson & Johnson oder dem Schmuckhersteller Tiffany. Quartal um Quartal kassiert man bei ihnen auf den Kauf Dividenden.

Mein größter Fehler? Dass ich Aktien meistens viel zu früh verkauft habe
Peter Lynch

Nicht alle Anleger sind für die Anlage in Einzelaktien geeignet. In vielen Studien haben Forscher nachgewiesen, dass Investoren mit Einzeltiteln in aller Regel unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielen. Die vermutlich umfassendste Stichprobe dazu lieferten die US-Forscher Brad Barber und Terrance Odean, die in den 90er-Jahren das Anlageverhalten von 65.000 Kleinanlegern untersucht haben. Demnach blieben die Anleger bei der Wahl von Einzelaktien pro Jahr knapp vier Prozentpunkte hinter dem Gesamtmarkt zurück, die aktivsten unter ihnen schnitten sogar sieben Prozentpunkte schlechter ab als jene, die ruhig kaufen und halten. Die Gründe? Aktive Anleger handeln zu oft, begrenzen Verluste nicht, schreiben Erfolge sich selbst zu, Verluste dagegen dem Gesamtmarkt; sie streuen nicht hinreichend über Branchen und Länder und bleiben mit dem Geld zu oft im eigenen Land – allesamt Gefahren, die nach nunmehr neun Jahren Bullenmarkt mit steigenden Kursen aktueller sind denn je. Und die ein gewichtiger Grund für eine global diversifizierte Basisanlage über Fonds sind.

Doch sollte das einen Anleger wirklich abschrecken, dessen Erwerbseinkommen und Vermögensplanung ansonsten auf einer vernünftigen Basis stehen? Ich denke, eher nicht. Und völlig unwahrscheinlich ist es auch nicht, mit Einzelaktien Renditen zu erzielen, die weit über den Gesamtmarkt hinausgehen. Immerhin jede zehnte Aktie in Deutschland hat in den letzten 15 Jahren inklusive Dividende mindestens 1000 Prozent Gesamtrendite eingebracht – sofern man sie denn diszipliniert gehalten hat.

Und das ist eine Herausforderung, die auch Profis kennen: „Mein größter Fehler? Dass ich Aktien meistens viel zu früh verkauft habe“, gab Peter Lynch Anlegern in seinem Buch mit.

Der Beitrag stammt aus dem Capital-Sonderheft zum Vermögensaufbau „Der Plan für Ihr Leben“ . Bestellt werden kann es im Capital-Shop

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