Capital: Herr Keppler, Sie verwalten seit über 25 Jahren von New York aus Aktienfonds. Ein Lokalpatriot sind Sie offenbar nicht: In Ihrem Aktienfonds Global Advantage Major Markets High Value sind US-Aktien nur mit knapp zehn Prozent vertreten. Dabei entfällt global rund 60 Prozent der Börsenkapitalisierung auf US-Aktien. Haben Sie Angst vor einem Handelskrieg oder Donald Trump?
MICHAEL KEPPLER: Nein, wir treffen keine politischen oder wirtschaftlichen Prognosen. Zu den Anlageprinzipien der Global Advantage Funds gehört jedoch, dass wir alle Länder tendenziell gleich gewichten, falls nicht Liquiditätsprobleme dem entgegenstehen.
Genauso viel Geld in österreichische Aktien anzulegen wie in US-Titel – das klingt, mit Verlaub, etwas skurril. Der US-Aktienmarkt ist fast 700-mal größer als die Wiener Börse.
Es ist aber langfristig ein ebenso simpler wie renditestarker Kniff. Seit Ende der 60er-Jahre hat der kapitalgewichtete MSCI World Index – dort werden Werte und Länder um so höher gewichtet, je wertvoller die entsprechenden Aktien sind – im Schnitt 8,2 Prozent pro Jahr zugelegt. Gewichtet man jedoch die im MSCI World enthaltenen Märkte gleich, lag die jährliche Gesamtrendite um 2,1 Prozentpunkte pro Jahr höher bei 10,3 Prozent. Daraus kann man schließen, dass die kleinen Märkte sich im Zeitablauf besser entwickeln als die großen. Vereinfacht kann man auch sagen: Bäume wachsen nicht in den Himmel.
Wie erklären Sie sich das?
Mit der Strategie der Gleichgewichtung vermeidet man, um so mehr Geld in Aktien oder Länder zu stecken, die bereits sehr stark gelaufen sind. Das ist aktueller denn je angesichts der Euphorie um US-Aktien allgemein und Technologietitel im Besonderen. Und auch gar nicht so ungewöhnlich, denn es gibt immer Trends, denen die Meisten ein paar Jahre nachjagen: also beispielsweise Ende der 80er-Jahre japanischen Werten, ab Mitte der 90er-Jahre erstmals US-Technologiewerten, in den Nullerjahren dann Finanzwerten. Irgendetwas ist immer en vogue, irgendwann sind fast alle dabei – und dann ist das Gejammer groß, wenn der Trend endet. Von solchen Klumpenrisiken hält man sich mit der Gleichgewichtung automatisch fern.
Wo ist das Problem? Ein Investor kann sich doch einfach zurücklehnen und dem Index die Gewichtung für geringe Gebühren überlassen. Damit schlägt man doch langfristig die Mehrheit der aktiven Fonds.
Was viele Anleger nicht verstehen: Man erklärt ihnen, dass man „passiv“ sei oder man damit keine Marktmeinung habe, wenn man einen Index kaufe. Aber das stimmt leider nicht. Zum einen legt man bei den typischen kapitalgewichteten Indizes wie dem Dax, MSCI World oder S&P 500 viel in gut gelaufene Titel an und wenig in zurückgebliebene. Zum anderen ist da noch der Indexanbieter, der auch eine Marktmeinung hat, zum Beispiel welche Aktien und welche Länder überhaupt für einen Index infrage kommen. Hinzu kommt noch das merkwürdige Verständnis von Volatilität, die ich als Risikomaß für ungeeignet halte.
Warum?
Wenn Aktien – so wie zuletzt fast alle großen Märkte und besonders die Technologietitel – konstant an Wert gewinnen, ist die Volatilität extrem gering. Ein Wert, der täglich um den gleichen Prozentsatz steigt, ist per Definition überhaupt nicht volatil. Das hilft Ihnen nur nicht in der Abschätzung, ob sie künftig nicht einmal stark einbrechen werden. Und die Erfahrung zeigt: Die Gewinne mehrerer Jahre können bei den Favoriten der Masse binnen sehr kurzer Zeit pulverisiert werden, wenn sich der Wind dreht. Ich betrachte das Risiko lieber anhand anderer Parameter: Wie hoch ist der Maximalverlust einer Strategie im Vergleich zum Index? Wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Verlustmonats? Wie hoch der durchschnittliche Monatsverlust? Das Ganze in Relation zu Renditen ist viel aussagekräftiger und spricht für die Strategie der Gleichgewichtung und der Orientierung an Substanz und Preiswürdigkeit. Ich will doch wissen, was für mich auf dem Spiel steht, wenn es einmal kracht.
Zuletzt stieß die Strategie der Gleichgewichtung aber an ihre Grenzen: Ihr globaler Aktienfonds hinkt dem Index über zehn Jahre rund 4,5 Prozentpunkte pro Jahr hinterher. Warum?
Das stimmt. Aber die Gesamtrenditen im Fonds waren mit jährlich 5,4 Prozent absolut nicht unbedingt schlecht – vor allem im Hinblick auf die Nullzinsen am Rentenmarkt. Wir unterscheiden hier zwischen Investitionsrisiko, das in den Global Advantage Funds relativ niedrig ist und dem Risiko, dass die Erträge von den Benchmarkrenditen abweichen, das relativ hoch ist.
Zehn Jahre umfassen aber doch einen ganzen Börsenzyklus.
Mir ist klar, dass dieses Vorgehen – auf fundamental günstige Märkte zu setzen und sie gleich zu gewichten – ein hohes Verständnis und Durchhaltevermögen braucht. Im Moment sehen Sie reichlich seltsam aus, wenn Sie keine Amazons, Facebooks und Googles im Portfolio haben. Aber solche Phasen gehören dazu. Das ist historisch auch nicht einmal ungewöhnlich. Auf 20-Jahres-Sicht liegt der Fonds immer noch vor dem Index. Und das, obwohl die Strategie, eher auf Fundamentaldaten und die Substanz von Aktien zu setzen, nun schon ein Jahrzehnt in der Krise steckt. Aber auch das wird sich wieder ändern. In den letzten hundert Jahren gab es nur zwei Dekaden – in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts und in den zehn Jahren nach der letzten Finanzkrise – in denen sich Value-Strategien schlechter entwickelten als Strategien, die auf Wachstum abstellen. In den anderen acht Jahrzehnten lagen die Ergebnisse der Value-Strategien deutlich über denen der Wachstumsstrategien.
„Wirtschaft ist permanente Disruption“
Dass Investoren Wachstumsaktien lieben, ist aber doch nicht nur Spekulation, sondern auch Ausdruck realwirtschaftlicher Veränderungen: zum Beispiel, dass große Konzerne wie Google, Amazon und Co. auf immer mehr Geschäftsfelder vordringen.
Aber das ist doch gar nichts Neues, sondern war schon immer so. Wirtschaft ist permanente Disruption. Ich denke, das schwache Abschneiden von Substanz hat andere Gründe. Wir sehen massive Eingriffe der Notenbanken und auch der Fiskalpolitik in das Marktgeschehen.Und dann gibt es natürlich auch einen gewissen Herdentrieb bei Investoren, hehren Wachstumsprognosen zu trauen. Das habe ich mir als Investor schon vor Jahrzehnten abgewöhnt. Die Prognosen über künftige Unternehmensgewinne enthalten zu große Schätzfehler. Sie liegen zudem meist dann daneben, wenn man sie am dringendsten braucht, also an Marktwendepunkten. Lieber schaue ich auf tatsächlich erwirtschaftete Gewinne, Cashflows, Buchwerte, Dividendenrenditen und das tatsächlich erzielte Wachstum in der Vergangenheit. Also Fakten anstatt Fake News.
Die Wende der Investorengunst haben Manager, die sich am Substanzwert orientieren, schon lange versprochen. Und dennoch passiert wenig.
Das stimmt. Aber es führt zu merkwürdigen Verzerrungen. Nehmen wir etwa das Gewinnwachstum: Der verbreitete Eindruck ist, dass substanzstarke Aktien – so genannte Value-Titel – kaum wachsen und deshalb günstiger bewertet sind. Dem ist aber nicht mehr so. Inzwischen wachsen die Gewinne und Cashflows von Substanzaktien – gemessen am MSCI World Value Index – fast genau so schnell wie die von Wachstumsaktien gemessen am MSCI World Growth. Zuletzt betrug das Cashflow-Wachstum rund 11 Prozent bei Substanzaktien und 13 Prozent bei Wachstumsaktien, die Gewinne wuchsen mit 20 Prozent bei Substanz- und mit 21 Prozent bei Wachstumswerten. Es gibt also kaum noch Unterschiede im Wachstum. Die Substanzaktien werden aber mit rund 40 Prozent Abschlag auf Wachstumsaktien beim Kurs/Gewinn- und Kurs/Cashflow-Verhältnis gehandelt und zahlen mit 3,4 Prozent eine mehr als doppelt so hohe Dividendenrendite. Da muss ich nicht lange überlegen, wo ich mein Geld anlegen soll und ziehe Substanzwerte eindeutig vor: gleiches Wachstum und höhere Dividenden zum deutlich günstigeren Preis. Zumal dieses Phänomen nun weltweit zu beobachten ist.
Es gibt Kritiker, die sagen, dieser am Substanzwert oder Dividenden orientierte Anlagestil sei tot. Er führe Investoren in sterbende Branchen, die disruptiv von Amazon und Co. angegriffen werden. Daher auch die günstigen Bewertungen.
(lacht) Ja, das heißt es immer, nachdem Wachstumswerte einige Jahre sehr gut gelaufen sind! Tatsächlich hat sich die Börsenlandschaft verändert. Die Qualität der Bilanzen lässt bei vielen Finanzwerten zu wünschen übrig. Der Buchwert von Unternehmen liegt oft weit über dem Liquidationswert. Das sieht man etwa bei Bankaktien. Kurs/Buchwert-Verhältnisse unter 0,4 bei deutschen Banken sind irreführend – man kann generell sagen: Kurs/Buchwert-Verhältnisse unter 0,5 deuten auf eine Value-Falle hin. Wäre es anders, käme auch sofort ein aktivistischer Investor, übernähme das Unternehmen und liquidiert es in seine Einzelteile. Das war früher anders. In den frühen 30er-Jahren war der gesamte US-Aktienmarkt an der Börse weniger wert als die liquiden Mittel seiner Unternehmen.
Noch einmal: Müssen Investoren nicht fürchten, mit einer an Dividende und Substanz orientierten Anlagepolitik in toten Branchen zu landen?
Die ganze Debatte um Disruption ist nicht neu. In den 80er-Jahren war Walmart das disruptive Unternehmen im US-Einzelhandel. Oder Microsoft in den 90ern in der Softwarebranche. Ab einer gewissen Größe geraten Firmen dann aber in Probleme mit dem Wachstum, den Erwartungen, den Wettbewerbshütern. Oder allen zugleich. Dann folgen schwierigere Jahre. Man muss es aushalten können, auch einige Jahre lang zu hören, dass man gewisse Veränderungen nicht verstanden habe und dieses Mal alles anders sei. Ich habe da die langfristige Statistik auf meiner Seite: Wenn man sich immer an die günstigsten Aktienmärkte weltweit hält und sie gleich gewichtet, schlug man den globalen Aktienindex MSCI World um knapp sechs Prozent pro Jahr und hatte nicht einmal höhere Verlustrisiken. Wenn das kein Argument ist, was dann?
Was sind denn die laut Ihren Fundamentaldaten aktuell attraktivsten Industrieländer?
Deutschland gehört dazu, aber auch Österreich, Italien, Japan, Singapur und Großbritannien. Ich würde Ihre Aufmerksamkeit aber auch auf Schwellenländer lenken. Dort kreuzen sich zwei Phänomene: Sie sind unserer Meinung nach gegenüber Industrieländern unterbewertet, und innerhalb der Schwellenländer sind Substanzwerte wiederum massiv unterbewertet gegenüber Wachstumstiteln. Sie bekommen die zehn günstigsten Schwellenländer zu einem Kurs-Buchwert-Verhältnis von gerade mal 1,4, dem gut siebenfachen der jährlichen Cashflows und rund 3,5 Prozent Dividendenrendite.
Und landet bei Ländern wie Russland, Brasilien und der Türkei. Das sorgt Sie nicht?
Nein. Dass die Länder, über die man sich die größten Sorgen macht, extrem niedrig bewertet sind, ist historisch immer so. Die Türkei ist ein gutes Beispiel. Natürlich ist ein Engagement dort nicht ohne Risiken. Aber wenn sich der türkische Aktienmarkt verdoppeln sollte, wäre er immer noch preiswert. Und auch da gilt: Politische Risiken gehören in Schwellenländern dazu. Man muss immer damit rechnen, dass es in einem Land Probleme gibt bis hin zu dramatischen Wertverlusten. Das hat es so auch in den 80er- und 90er-Jahren gegeben, aber genau das reflektieren ja auch die Bewertungen. Wenn sie durchhalten, werden Sie langfristig mit einer sauberen Streuung reich belohnt. Immer gleichgewichtet in die preiswertesten Schwellenländer anzulegen, brachte in den letzten 30 Jahren immerhin eine Rendite von rund 20 Prozent pro Jahr.