Da sitzen sie also – die beiden Jungbanker, die dieser Tage das große Thema der deutschen Investmentszene sind. Links: Erik Podzuweit, 36 Jahre, groß und blond gelockt. Rechts: Florian Prucker, 34 Jahre, klein und braun gescheitelt. In ihren T-Shirts könnte man sie sich auch gut als Beachvolleyball-Duo vorstellen. Podzuweit wäre der, der vorn am Netz die spektakulären Blöcke setzt. Und Prucker der, der hinten im Feld die unmöglichen Bälle ausgräbt.
Ein Tag Ende Juni, wahrscheinlich der erste ruhige Moment für Prucker und Podzuweit seit Langem. Zwei Tage zuvor haben sie eine Mitteilung rausgegeben, die in der Branche einschlug wie, nun ja, ein Smash beim Beachvolleyball: Blackrock, der weltgrößte Vermögensverwalter, 5400 Mrd. Dollar schwer, steigt bei Pruckers und Podzuweits Firma ein, dem erst 2015 gegründeten Robo-Advisor Scalable Capital. Bumm. Der Sand spritzte nach allen Seiten.
Robo-Advisor werden neue digitale Vermögensverwalter genannt, bei denen kurz gesagt kein Mensch, sondern eine Maschine das Portfolio zusammensetzt . Verglichen mit der etablierten Finanzindustrie sind ihre Marktanteile noch winzig. So kommen die deutschen Robos bislang zusammen noch nicht mal auf ein verwaltetes Vermögen von 1 Mrd. Euro. Trotzdem spricht vieles dafür, dass Firmen wie Scalable die Zukunft gehört. Schließlich haben Fondsmanager und Vermögensverwalter oft genug bewiesen, dass sie meist schlechter abschneiden als der Markt. Warum sollte eine Maschine ihren Job also nicht mindestens ebenso gut erledigen? Und das zu deutlich niedrigeren Gebühren.
Das Engagement des Giganten Blackrock bei den beiden Münchner Beach-Boys ist jedenfalls ein mächtiges Signal: Seht her, nicht nur ein paar Greenhorns setzen jetzt auf digitales Geldmanagement, sondern auch die traditionelle Finanzindustrie.
Auch die Deutsche Bank wird im August einen eigenen Robo-Advisor starten. Dasselbe hat jüngst bereits die Commerzbank-Tochter Comdirect getan (Cominvest), ebenso wie Ende Juni der Sparkassen-Fondsanbieter Deka (Bevestor). Höchste Zeit also, sich die Kaste der digitalen Vermögensverwalter einmal genau anzuschauen: Wer sind sie? Was können sie? Und welche Anbieter haben Substanz – welche hingegen reiten bloß die Welle?
Welcher Robo-Advisor taugt was?
Um dies herauszufinden, hat Capital gemeinsam mit den renommierten Münchner Investment-Spezialisten Tetralog den gesamten deutschen Robo-Markt unter die Lupe genommen. Ziel war es, möglichst alle Anbieter zu erfassen, die für den Capital-Leser interessant sein könnten. Sämtliche Firmen, deren Produkte erstens die wesentlichen Kriterien einer digitalen Vermögensverwaltung erfüllen und die zweitens spätestens im Mai 2017 am Start waren, gingen in den Test ein.
Insgesamt erfüllten 13 Anbieter diese Bedingungen. Darunter reinrassige Start-ups wie Scalable, Vaamo oder Whitebox. Aber auch bankeneigene Player wie Cominvest oder Visualvest (Union Investment). Drei Kriterien waren für die Analyse besonders wichtig:
- Eine transparente Beschreibung des Investmentprozesses
- Eine Portfoliomischung, die zum Profil von zwei fiktiven Testpersonen passen sollte
- Ein kundenorientierter Service
Insgesamt flossen mehr als 70 Elemente in die Bewertung ein. Das eigentlich wichtige Kriterium „Performance“ wurde dabei bewusst ausgelassen, weil die Investmentstrategien sämtlicher Robo-Advisor auf eine langfristige Anlage ausgelegt sind, viele Anbieter aber erst seit einigen Monaten oder maximal ein bis zwei Jahren am Markt sind. Die bisherige Performance hat deshalb noch keine wirkliche Aussagekraft. Einen ersten Anhaltspunkt liefert jedoch diese Tabelle.
Auch das Kriterium „Gebühren“ blieb weitgehend außen vor, weil der Aufwand der Anlagen bei den verschiedenen Robo-Advisorn stark auseinanderklafft. Im Ranking wurde daher lediglich die Frage berücksichtigt, ob die Kosten transparent sind. Da aber Kosten ein wichtiges Kriterium sind, bietet die Tabelle einen Überblick über sämtliche Gebühren, die bei den jeweiligen Anbietern anfallen.
Was sind aber nun die Ergebnisse? Allgemein lässt sich festhalten, dass die meisten Robo-Advisor ordentlich arbeiten. Die Investmentprozesse sind meist plausibel, der Service oft sogar bemerkenswert gut, und in Sachen Transparenz können sich manch klassische Finanzdienstleister ein Beispiel an den Newcomern nehmen. Besonders geeignet sind die Robos für Anleger, denen die klassische Vermögensverwaltung zu teuer ist – die sich aber auch nicht zutrauen (oder die den Aufwand scheuen), ein eigenes Portfolio beispielsweise auf der Basis preiswerter ETFs zusammenzustellen.
Worauf man freilich gefasst sein sollte: Wie in der Start-up-Welt üblich, werden nicht alle Robos überleben. Scheidet ein Anbieter aus dem Markt, ist zwar das Vermögen geschützt – die Übertragung auf einen anderen Finanzdienstleister wird jedoch Aufwand verursachen.
Auf dem ersten Platz landete mit 87,43 von 100 möglichen Punkten tatsächlich Scalable – wobei das Ergebnis übrigens schon wenige Tage vor der Blackrock-Nachricht feststand. Dahinter schaffen es der Berliner Anbieter Liqid (78,66 Punkte) und die Union-Investment-Tochter Visualvest (77,41 Punkte) auf die Plätze. Darüber hinaus schnitten sechs weitere Anbieter gut ab, nämlich Whitebox (68,09), Cominvest (68,05), Quirion (67,90), Vaamo (67,64), Ginmon (67,35) und Growney (63,99). Immerhin zufriedenstellend waren die Leistungen von -Fintego (57,66), Solidvest (55,63) und Investify (54,09). Dagegen fiel Easyfolio mit 41,39 Punkten deutlich ab.
Doch ist jeder Anbieter, der im Test einen der vorderen Plätze belegte, auch für jeden Anleger geeignet?
Das Angebot von Scalable überzeugte die Tetralog-Experten in vielerlei Hinsicht. So wurden die Kenntnisse der beiden fiktiven Tester umfassend abgefragt und der Investmentprozess transparent dargestellt. Zudem ist der Service top, und die „sehr gute App“ machte den Testern sogar geradezu „Spaß“. Das alles deckt sich mit Einschätzungen aus der Szene. So bezeichnen selbst die meisten Konkurrenten Scalable als „ausgesprochen professionell“, wie es Vaamo-Gründer Oliver Vins ausdrückt. An eine Eigenheit wird sich mancher Kunde jedoch erst gewöhnen müssen – die Anlagestrategie. Denn die weicht von praktisch allen Wettbewerbern fundamental ab.
Um das zu verstehen, muss man Olaf Zeitnitz besuchen, den Chef von Visualvest, dem Drittplatzierten im Ranking. Zeitnitz ist keiner dieser selbstgewissen jungen Start-up-Gründer. Sondern ein zurückhaltender Mann mit Brille und Halbglatze. Dennoch steht Visualvest stellvertretend für die meisten deutschen Robo-Advisor. „Für uns geht es auch darum, mit Visualvest Erfahrungen zu sammeln, von denen andere Geschäftsbereiche profitieren“, sagt Zeitnitz. Wenn er „uns“ sagt, dann meint er nicht nur Visualvest, sondern auch die Mutter Union Investment, den Fondsdienstleister der deutschen Volks- und Raiffeisenbanken. Er hat den digitalen Vermögensverwalter im vergangenen Jahr aufgesetzt.
Experimente ist man dabei kaum eingegangen. Stattdessen ist Visualvest im Grunde eine Kopie der übrigen Robo-Landschaft – allerdings eine exzellent gemachte. „Guter Profilierungsprozess“, loben die Tetralog-Tester. Oder: „Transparente Asset Allocation“. Oder: „Top-Service bei Telefon und E-Mail. Schnell, sehr freundlich, sehr kompetent.“ Allem Anschein nach hat der Volksbank-Roboter mit dem Lernen rasante Fortschritte gemacht. Er ist solide in nahezu allen Bereichen. Auch bei der Anlagestrategie.
Wie die meisten Wettbewerber verfolgt Visualvest in seinem Kernprodukt einen passiven Investmentansatz. Das heißt: Der Robo arbeitet nicht gegen den Markt, sondern mit ihm . Steigt die Börse, dann gewinnt auch das Portfolio an Wert. Fällt sie, dann kann auch die Maschine kaum mehr tun, als die Verluste durch Diversifikation zu begrenzen. Um diese Strategie umzusetzen, nutzt Visualvest dieselben günstigen Indexfonds, die auch bei vielen Selbstentscheidern beliebt sind – also Exchange-Traded Funds (ETFs).
Die einzelnen Aktien-, Anleihe- und Rohstoff-ETFs werden je nach Risikoneigung des Kunden gewichtet. So liegt zum Beispiel die Aktienquote im „chancenorientierten“ Portfolio bei 75 Prozent, im „defensiven“ Portfolio hingegen nur bei fünf Prozent. Auf Basis historischer Daten wird dieser Mix zwar hin und wieder leicht verändert. Zudem betreibt Visualvest wie praktisch jeder Robo das sogenannte Rebalancing, das heißt, das Portfolio wird bei Wertveränderungen einzelner Papiere regelmäßig auf seine ursprüngliche Gewichtung zurückgeführt. Davon abgesehen ist der Roboter aber – zugespitzt gesagt – fast arbeitslos.
Mehr oder weniger vertrauen fast alle Robos diesem Ansatz. Von Visualvest bis Vaamo. Von Com-invest bis Liqid. Es geht um preiswerte Produkte, breite Streuung und adäquates Risiko – aber nicht um revolutionäre Strategien. Ketzerisch ließe sich sagen, dass es für diesen Ansatz, abgesehen von homöopathischen Feinheiten wie dem Rebalancing, gar keinen Computer bräuchte. Ein ETF-basiertes 70-25-5-Portfolio aus Aktien, Anleihen und Rohstoffen kann sich jeder halbwegs informierte Anleger auch selbst zusammenstellen. Die Frage allerdings ist: Tut er das? Oder schichtet er bei erstbester Gelegenheit doch wieder um?
So gesehen liegt die eigentliche Stärke der meisten Roboter am Ende gar nicht in ihrer Rechenpower. Sondern darin, dass sie genau das tun, was der Mensch aufgrund seiner Emotionalität irgendwie nicht hinkriegen will: nämlich auf Basis rationaler Kriterien ein Portfolio zusammenstellen und dann die Zeit für sich arbeiten lassen. Der Anleger zahlt den Robo-Advisor also in erster Linie für dessen Disziplin, nicht für dessen Intelligenz.
Der uniforme Ansatz von Anbietern hat zur Folge, dass sich die Unterschiede eher in den Details zeigen. So rebalanciert Vaamo die Portfolios seiner Kunden nicht nur alle paar Monate, sondern wenn nötig auf Tagesbasis. Ein weiteres Differenzierungsmerkmal ist die ETF-Auswahl. Hier lässt sich für den normalen Kunden allerdings kaum einschätzen, was gut ist und was schlecht.
Sehr viel eindeutiger ist das beim Preis – wo zum Beispiel Cominvest mit einer jährlichen Verwaltungsgebühr von 1,5 Prozent besonders zuschlägt. Wichtig sind daneben Transparenz und Service. Unter „ärgerlich“ lässt sich noch verbuchen, wenn der Chat nicht richtig funktioniert, was gleich bei mehreren Anbietern im Test der Fall war. Unverständlich ist hingegen, dass zum Beispiel bei Easyfolio überhaupt nicht ersichtlich war, zu welchen Servicezeiten überhaupt ein Mitarbeiter zu erreichen ist.
Wenn man von solchen Ausreißern absieht, schnitten viele Anbieter selbst in den Details ähnlich ab. Ist also ein Robo wie der andere?
Erbitterte Konkurrenz
Fast – wäre da nicht der Sieger Scalable. Die beiden vermeintlichen Beach-Boys heben sich tatsächlich von der Konkurrenz ab. Sieben Jahre arbeiteten beide für Goldman Sachs, unter anderem an der Entwicklung einer elektronischen Handelsplattform. Aus dieser Zeit haben sie verinnerlicht, dass ein „Metoo-Ansatz in innovativen Geschäftsfeldern gefährlich ist“, sagt Erik Podzuweit. „Wenn man vorne dabei sein will, muss man anders denken als der Rest.“ Und das tun sie.
Der Ansatz von Scalable ist nicht passiv. Sondern ausgesprochen aktiv – wenn auch nicht im Sinne des Stock-Pickings klassischer Fondsmanager. Stattdessen funktioniert die Strategie von Prucker und Podzuweit so, dass ihre Roboter die Aktienquoten mitunter wild herauf- und auch wieder herunterfahren. So können selbst Kunden mit mittlerer Risikoneigung plötzlich auf 90 Prozent Aktien in ihrem Portfolio kommen. Dabei stützt sich Scalable auf ein Risikomaß, das sich Value at Risk (VaR) nennt – und das wiederum eng mit der Volatilität zusammenhängt. In ruhigen Marktphasen wird das Risiko aggressiv erhöht. Und in turbulenten Zeiten radikal reduziert. Die Folge: Bei Scalable sind die Roboter alles andere als arbeitslos.
Der Ansatz ist nicht unumstritten. Die Konkurrenz läuft sich schon warm, den Marktführer – Scalable verwaltet bereits mehr als 250 Mio. Euro – zu attackieren. Kritiker monieren, das permanente Umschichten passe nicht zu einem langfristigen Anlageziel. Doch um das zu beurteilen, ist es zu früh. Blackrock jedenfalls hat der Ansatz überzeugt: „Für uns ist das ein Ritterschlag“, sagt Podzuweit, „Blackrock hat das Netzwerk, wir die Technologie. Jetzt bringen wir beides zusammen.“
Letzte Station: Berlin, Kurfürstendamm. Hier, unter hohen Decken, mehr Bourgeoisie als Start-up, residiert Christian Schneider-Sickert, der Chef des Zweitplatzierten Liqid. Auch bei seinem Angebot waren die Tester voll des Lobes. Sie heben „den Abgleich zwischen Selbsteinschätzung und ermitteltem Profil“ hervor, die „sehr transparente Beschreibung des Ansatzes und des Risikomanagements“ und die „sehr guten Erwartungswerte, die die Benchmark deutlich schlagen“.
Bloß: Der typische Kleinanleger hat davon wenig. Denn während man bei anderen Anbietern per Sparplan schon mit 25 Euro im Monat einsteigen kann, beträgt die Mindestanlage bei Liqid stolze 100.000 Euro. Zielgruppe ist also der Gutverdiener Ende 40, der sein Häuschen schon abbezahlt hat – und nun irgendwo hinmuss mit seinem Geld.
Hinter Liqid steht neben den Gründern und Risikokapitalgebern das milliardenschwere Family-Office der Quandt-Familie, genannt HQ Trust. Die dortigen Portfoliomanager haben auch den Liqid-Roboter entwickelt – doch eigentlich sind die Pläne, die HQ Trust mit Liqid verfolgt, viel größere. So erzählt Schneider-Sickert, dass man inzwischen an digitalen Portfoliolösungen arbeite, die „Zugang zu alternativen Anlageklassen wie Private Equity bieten“. Der passiv investierende Roboter ist mithin nur noch ein Produkt unter mehreren. Und Schneider-Sickert sagt: „Im Grunde mögen wir den Begriff Robo-Advisor auch gar nicht. Wir sehen uns als breit aufgestellter digitaler Vermögensverwalter und moderne Alternative zur Privatbank.“
Vielleicht ist dies ja sogar der beste Beleg, dass Robo-Advisor an der Schwelle zum Massenmarkt stehen: Der erste Anbieter distanziert sich bereits von dem Begriff.
So wurde getestet
Die Investment-Spezialisten von Tetralog haben für Capital alle 13 Robo-Advisor untersucht, die Anfang Mai in Deutschland am Markt waren
Im Mittelpunkt des Tests standen die transparente und verständliche Beschreibung des Investmentprozesses, die stimmige Profilierung (Passt das Angebot zum Kunden?) und das Serviceangebot. Dazu wurden je zwei Testanfragen bei den Robos platziert.
Methode: Beim ersten Testkunden handelte es sich um einen 44-jährigen, verheirateten, kinderlosen Angestellten mit einem liquiden Vermögen von 30 000 Euro und einem Anlagehorizont von 16 Jahren (Anlageziel: Altersvorsorge). Die zweite Testperson war ein 24-jähriger Angestellter und Single mit einem liquiden Vermögen von 8 000 Euro und einem Anlagehorizont von sechs Jahren (Ziel: Autokauf). Auf Basis dieser Informationen ließ sich Tetralog Anlagevorschläge unterbreiten und prüfte, inwiefern diese zum Profil der beiden Kunden passten. Danach wurde über eine spezielle Software die initiale Portfoliomischung simuliert (Rebalancing, taktische Portfolioveränderungen und Gebühren blieben außen vor). Schließlich wurde zu jedem Portfolio eine Prognose der maximalen, minimalen und durchschnittlichen Rendite über einen Zeitraum von sieben Jahren errechnet. Diese Werte wurden gegen die Benchmark der Testkunden gemessen – im ersten Fall gegen ein 50/50-Portfolio aus Aktien und Anleihen, im zweiten
gegen ein 25/75-Portfolio.
Gewichtung: Das Profiling wurde in der Gesamtbewertung mit 25 Prozent gewichtet, der Investmentprozess und die Portfoliomischung mit 40 Prozent und der Service mit 35 Prozent. Beim Service achteten die Analysten besonders auf die Kontaktmöglichkeiten (Telefon, Mail, Chat) und die Kundenorientierung.